In Workshops und Seminaren wird häufig der Versuch gemacht, eine Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung aufzubauen. „Ich kann doch dem anderen nicht sagen, dass mir sein Ratschlag nicht weiter hilft“ oder „Ich muss doch diese Meinung stehen lassen, auch wenn ich denke, sie ist falsch“. Auch Teilnehmer von Ausbildungsseminaren schließen sich diesem „Positiv Talk“ der Feelgood Szene immer mehr an. Erhalten sie ein weiterführendes Feedback reagieren einige gestresst, genervt und gar nicht mehr so wertschätzend und liebevoll, wie sie es gerne wären oder sich darstellen. Auch Personalabteilungen messen den Unterhaltungswert und Happinessfaktor.
Ein schwieriger Trend, zu dem man zwei Perspektiven einnehmen kann.
Zum einen ist es nachvollziehbar, dass ein offenes und ehrliches Feedback Angst auslöst. Angst, dass die anderen dann nicht mehr mit einem reden. Angst, dass man aus einer Gruppe ausgeschlossen wird. Angst, dass einige Neuesoterische Sprüche, wie sie in Facebook gerne die Runde machen, gegen einem verwendet werden. Sprüche mit denen man alles abwenden und dem anderen wieder zuspielen kann. Dann ist der der Depp, nicht ich.
Angst davor, sich wirklich mit dem anderen auseinander zu setzen. Dadurch einen Konflikt und damit Nähe entstehen zu lassen.
Und last not least, keine weiteren Aufträge der betreffenden Firma oder eine Empfehlung zu erhalten.
Doch, nehmen wir einmal die zweite Perspektive ein.
Wer Lenor gespült kommuniziert, vernebelt die Wahrheit.
Aus einer klaren Kommunikation, die auf Fehler und damit auf ein Lernfeld und eine Erweiterung der eigenen Komfortzone aufmerksam macht, wird verzichtet um des lieben Friedens willen. Es wird um den heißen Brei herum geredet, statt die Dinge auf den Punkt zu bringen.
Ich nenne so etwas gerne: Es wird mit Wattebäuschchen geworfen, statt den Mut aufzubringen, ein klares und förderliches Feedback zu geben. Auch wenn das im ersten Moment vielleicht für den anderen etwas unangenehm ist.
Das hängt auch sehr stark mit dem Trainings-Bullshit der heutigen Zeit zusammen, der suggeriert, es gäbe so etwas wie Motivationsknöpfe, die man nur richtig bedienen müsse, um sofort und vor allem ohne jede Mühe, jeden Erfolg zu erreichen.
Wenn die Hirnforschung eins bewiesen hat, dann dass Veränderung in den Hirnen und im Handeln von Menschen durch konkretes und wiederholtes Tun von statten geht. Neues Lernen findet außerhalb der gewohnten Komfortzone statt und ist mit Unsicherheit und Verwirrung verbunden. Gerade durch die Konfrontation mit heiklen Themen besteht die Chance, die vielbeschworene emotionale Aktivierung an hochbedeutsame Motive der Teilnehmer zu erreichen.
Wenn auch Heikles in einem geschützten und wertschätzenden Rahmen besprechbar wird, wird auf jeden Fall leichter die emotionale Betriebstemperatur erreicht, die für dauerhafte neuroplastische Veränderungen erforderlich ist. Wer dieses ohne Zweifel nicht gerade kleine Risiko eingeht, tut als Trainer nicht nur etwas für seine eigene Persönlichkeitsentwicklung, sondern gibt seinen Teilnehmern Entwicklungsimpulse, die geeignet sind, ihren Reifegrad und den Reifegrad des Unternehmens, in dem sie arbeiten längerfristig zu steigern. So Hütter 2017.
Fundierte Trainings sollten eine Lernentwicklung höherer Ordnung bieten. Was darunter zu verstehen ist, beschreibt der Anthropologe, Sozialwissenschaftler und Kybernetiker Gregory Bateson in seinen grundlegenden Lerntypologien (Bateson 1981)
Level I ist die niedrigste Stufe des Lernens und die zugleich am weitesten verbreitete. Diese Stufe kennen wir aus dem schulischen Kontext. Wissen wird gepaukt und bei der nächsten Prüfung wieder abgerufen. Auch Hochschulen und Universitäten bewegen sich auf diesem Level. Im Seminarkontext bewegen sich die klassischen „So geht´s“ Trainer auf diesem Niveau. Der Trainer steht vor seinen Teilnehmern und zeigt ihnen, wie erfolgreiches Handeln in einem bestimmten Praxisfeld funktioniert. Der Lernimpuls besteht in einer Imitation des Best-Practice. Das funktioniert allerdings nur so lange, wie die Welt außerhalb des Seminarraums, sich bequemt nach dem jeweiligen Drehbuch zu funktionieren.
„Ich erwarte von Ihnen einen Gesprächsleitfaden für den Konfliktfall mit einem Mitarbeiter“ entgegnete mir einmal eine Führungskraft, die genau auf diesem Level I Niveau immer wieder geschult wurde. Dass sich an der Führungskultur trotz aller Schulungen dieser Form nichts verändert hatte, lag in ihrer Fantasie lediglich daran, dass er die falschen Mitarbeiter hat.
Level II nach Bateson ermöglicht den Teilnehmern bereits, erworbene Fähigkeiten flexibel einzusetzen und je nach Situation zu verändern. Auf diesem Level findet auch schon eine Reflexion darüber statt, welche Vorgehensweise am besten zur eigenen Persönlichkeit passt. Die Lernenden sind in der Lage, selbständig neue Strategien zu entwickeln und ihr Handeln zu verändern und den Rahmenbedingungen anzupassen. Unternehmen, die bereits erkannt haben, dass es unumgänglich ist, zur lernenden Organisation zu werden, kommen an diesem Level nicht vorbei.
In Level II schwingt schon ein Stück Persönlichkeitsentwicklung mit und wird auf Level III zum Zentrum der Aufmerksamkeit. Hier geht es darum, in eigener Regie über sich hinaus zu wachsen. Menschen erwerben auf dieser Stufe den Mut, ihre Wahrnehmungen auch entgegen der mehrheitlichen Meinung zu äußern. Sie lernen ihre eigenen Stress- und Angstgefühle in einem erträglichen Rahmen zu halten und auch bei Unsicherheiten Entscheidungen zu treffen. Sie können mit den unterschiedlichen Ambivalenzen von Menschen umgehen und stufen diese nicht mehr in Kategorien von „richtig“ und „falsch“ ein. Hier wird Widerspruch und Konflikte als Entwicklungschance gesehen und Menschen, die auf diesem Level angekommen sind, begrüßen genau das, da sie wissen, dass bei fehlendem Widerstand die Organisation Gefahr läuft, der exponentiellen Verdummung anheim zu fallen. Sie lernen auch mit einem anfangs als negativ empfundenem Feedback umzugehen, sich dem eigenen Widerstand zu stellen und damit Komplexität zu tolerieren statt sich selbst wieder in eine Unterkomplexität einzusortieren.
Geben Trainer lediglich ein weichgespültes Feedback und tragen damit selbst zu einer Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität im Training bei – werfen also munter mit Wattebäuschen, verhindern sie ein Lernen auf Level II und III und tragen zur Komplexitätsreduktion bei. Sie verstärken die Konsumhaltung einiger Teilnehmer und fixieren die erlernte Hilflosigkeit.
Vielleicht sollten auch einige Personalabteilungen mal davon abrücken lediglich die Zufriedenheit der Teilnehmer abzufragen und die direkte Einschätzung der Übertragung in die Praxis, die oft nur ein Level I Lernen spiegelt oder die Erwartung daran.
Wer mich direkt fragt, wie er ein gutes Ausbildungsinstitut, einen guten Coach oder Trainer findet, dem antworte ich ohne Umschweife.