Über Coaching sind bereits zahlreiche Artikel erschienen und inzwischen kann sich wohl jeder etwas darunter vorstellen. Aber dennoch gibt es immer noch weit verbreitete Irrtümer darüber. Auch als Ausbilder von Coaches werde ich oft damit konfrontiert.

  1. Irrtum: In einer Coachingausbildung bekommt man Werkzeuge an die Hand. Tools sind das wichtigste Handwerkzeug eines Coaches.
    Ja, ein Coach braucht auch Werkzeuge und Tools. Nur, die Tools machen es nicht alleine. Es ist immer die Hand, die ein Werkzeug führt, die darüber entscheidet, wir wirksam eine Veränderungstechnik beim Klienten ist. Eine Coachingausbildung muss zudem intensiv auf die Persönlichkeitsbildung des Coaches setzen. Findet diese nicht statt, wird ein Coachingsprozess selten wirklich erfolgreich verlaufen. Er wirkt eben nur, wie eine Technik und nicht wie ein Gestaltungs-Prozess, der zwischen Coach und Klienten stattfindet.
    Ebenso braucht ein Coach eine umfassende Ausbildung sowohl in Individualpsychologie als auch Wissen über Systeme. Denn Menschen interagieren innerhalb ihrer Systeme und sind durch diese geprägt. Wird das außer Acht gelassen, werden Lösungen nicht wirklich nachhaltig sein.
    Ich vergleiche das Bild gerne mit einem Unterschied zwischen „Kennen“ und „Können“. Es reicht nicht, nur zu wissen, wie eine Geige aufgebaut ist. Der geschickte Umgang mit dem Instrument, macht den Virtuosen aus.
  2. Irrtum: Das Wichtigste ist, dass der Coach Verständnis für die Situation des Klienten hat
    Empathie und Einfühlungsvermögen ist ein wichtiger Bestandteil eines Coachingprozesses. Hier gilt es jedoch zu differenzieren. Verstehen heißt nicht einverstanden sein. Der Coach hat nicht die Aufgabe, die Probleme des Klienten zu kuscheln und zu pflegen. Coaching ist keine Wohlfühlpackung.
    Veränderungen finden außerhalb der Komfortzone statt und sind mitunter harte Arbeit, die viele Gefühle im Klienten hervorrufen kann – durchaus auch negative, als Projektion auf den Coach oder den Prozess.
    Und dennoch darf sich ein guter Coach nicht scheuen, den Finger in die Wunde zu legen.
    Dabei ist es wichtig, dass der Coach recht schnell erkennt, wie der Klient zu seinen Problemen beiträgt und sich diese gestaltet, nur dann kann eine Veränderung erfolgen.
  3. Irrtum: Veränderung passiert rational und über Einsicht
    Viele Menschen denken, wenn sie jemandem eine rein rationale Überzeugung vermitteln können, dann könnte dieser Mensch auch seine Probleme lösen und sein Verhalten verändern. Das stimmt nicht. Einsicht schadet zwar nicht. Aber zur Veränderung braucht es vor allem eine starke emotionale Beteiligung. Dazu muss der Coach mit den Gefühlen und dem Unbewussten des Klienten arbeiten können, statt im Gespräch auf der rationalen Ebene hängen zu bleiben.
    Unsere Verhaltensmuster sind tief geprägt und haben in unserem Gehirn ganze Datenautobahnen angelegt. Wir funktionieren quasi auf Autopilot. Diese Automatismen laufen täglich ab, und machen uns unser Leben leichter. Es wäre auch schwierig, wenn wir ständig neu überlegen müssten, wie wir laufen, sitzen, essen usw.
    Was auf der einen Seite positiv ist, wirkt sich jedoch auf der anderen Seite negativ aus. Genau die Dinge, die uns stören, die wir gerne verändern möchten, oder die immer wieder die gleichen Probleme verursachen, laufen ebenso auf Autopilot. Und, unser Gehirn verändert sich nicht über Einsichten, sondern nur, wenn im Coachingprozess mit Emotionen gearbeitet werden kann.
    Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Jeder Raucher weiß, dass Rauchen schädlich ist. Es nützt nichts, ihm das zu sagen. Diese Einsicht hat er bereits.
    Gleiches gilt das auch für andere Themen deines Lebens. Dein Geldverhalten wird sich nicht verändern, wenn du Schulungen über Finanzprodukte machst, Zinsen berechnen kannst oder Kapitalmarktwissen erwirbst. Auch dieses Thema ist emotional gesteuert und nicht rational. Auch dein Beziehungsverhalten wird sich nicht über Theoriewissen verändern.
    Bei all diesen Themen wissen wir dann zwar viel über das Thema. Wenn es jedoch drauf ankommt, greifen wir immer wieder unbewusst auf unsere alten Verhaltensmuster zurück.
  4. Irrtum: Widerstand beim Klienten bedeutet mangelnde Flexibilität des Coaches
    Der Satz ist einer der NLP Vorannahmen und wird recht häufig missdeutet. Es heißt nicht, wenn der Klient in innere Widerstände kommt, dass der Coach nun die Veränderungsarbeit an sich selbst zu leisten hat. Also an sich selbst noch ein bisschen arbeiten muss. Der Satz bedeutet, dass wenn ein Prozess so nicht funktioniert, der Coach seine Technik und seine Herangehensweise verändert.
    Wenn Menschen mit starken Veränderungen konfrontiert werden – also das heiße Eisen ist entdeckt, dann reagieren sie oft mit Widerständen: Termine werden vergessen. Es wird das erzählt, was sie denken, was der Coach gerne hören möchte und was irgendwie logisch klingt. Es wird schwammig und der Klient scheint hinter einer Nebelwand zu verschwinden, nicht mehr greifbar. Oder er aktiviert seine frühgelernten Konfliktmechanismen: Angriff, Flucht, Anpassung.
    Hier gilt es für den Coach unterscheiden zu lernen und den roten Faden des Prozesses zu halten.
  5. Irrtum: Ich werde Coach, da mir immer gute Lösungen für die Probleme anderer Menschen einfallen
    Den Satz höre ich sehr oft, wenn es darum geht, warum jemand den Beruf des Coaches ergreifen möchte.
    Das ist jedoch nicht deine Aufgabe als Coach. Nicht du musst die Probleme lösen, sondern der Mensch der zu einer Coachingsitzung zu dir kommt. Deine Aufgabe als Coach ist es, den Menschen so zu führen, dass er die für sich passende Lösung finden kann.
  6. Irrtum: Meiner Klientin ging es nach der Sitzung richtig gut. Unsere Mitarbeiter hatten viel Spaß im Training
    Viele Coaches denken, wenn genau das passiert, war der Prozess erfolgreich. Das ist ein Irrtum. Klar gehört Spaß zu Lernen und klar ist es wichtig, dass es dem Klienten nach Abschluss des Coachings gut geht.
    Doch Vorsicht: Veränderungen gehen meist mit Unsicherheit, Verwirrung, Angst, Widerständen einher. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wer sich als Coach immer nur danach richtet, dass der Klient solche Gefühle nicht erfährt und es ihm immer nur gut geht, trägt nicht zu Veränderungsprozessen bei, sondern eher zur Bestätigung des Problems.
  7. Irrtum: Der Coach darf nicht klar ausdrücken, was der Klient falsch macht. Der Klient ist zu schonen
    Der Klient ist ein erwachsener Mensch und nicht aus Zucker. Er kommt nicht in den Coachingprozess um eine Bestätigung seiner Weltsicht zu erhalten. Solche Gespräche kann er in seinem Alltag zu Hauf führen. Ein Coach muss durchaus in der Lage sein, klar auf den Punkt zu kommen und Themen anzusprechen, die vielleicht nicht ganz so angenehm sind.
  8. Irrtum: Wenn ich als Coach mein Zertifikat in der Tasche habe, dann bin ich fit mit Menschen arbeiten zu können
    Wirklich mit Menschen arbeiten zu können, setzt viel Erfahrung und viel Übung voraus. Das Zertifikat macht das nicht alleine. Das kannst du ungefähr mit deinem Führerschein vergleichen. Allein dass du die Fahrprüfung bestanden hast, heißt noch nicht, dass du dem Großstadtverkehr zur Hauptstoßzeit in einer fremden Stadt auch gewachsen bist.
  9. Irrtum: Ein Coach kann alles coachen. Er braucht keine eigenen Erfahrungen in bestimmten Gebieten
    JAEIIIIIN. Wie oben schon erwähnt, musst du für die Führung den roten Faden halten können und den Punkt um den es geht auch finden. Wenn du keine Feldkompetenz in bestimmten Bereichen hast, dann kannst du manche Prozesse nicht führen – es fehlt dir der Blick.
    Als Beispiel:
    Ich sehe viele Gründer, die für ihr Gründungsvorhaben staatliche Einrichtungen aufsuchen. Dort sitzen Beamte die beraten. Diese Menschen waren jedoch nie selbständig, haben also keine Erfahrungen darüber, was für den Gründer wirklich wichtig ist. Ebenso gibt es viele Coaches, die selbst noch im Angestelltenverhältnis sind, sich also nie wirklich selbständig gemacht haben. Was beide Beispiele betrifft: Beide kennen dieses Thema nur aus der Literatur. Beide sind selbst den Prozess nie gegangen und von daher wird dabei vieles im Coaching nicht angesprochen werden, da der Coach selbst, es nicht weiß.
  10. Irrtum: Ein Coach hat mit seinem Abschluss ausgelernt
    Ein Coach lernt nie aus. Jeder Fall ist anders. Jeder Fall ist neu. In jedem Fall begegnen sich Menschen und lösen unterschiedliche Prozesse aus – auch bei dem Coach. Ein absolutes Muss für jeden Coach ist Supervision. Also weiter lernen am konkreten Fall und die eigenen Kompetenzen vertiefen.
  11. Irrtum: Das geht doch auch im Webinar
    Webinare sind voll im Trend. Gerade die Zielgruppe Spiral Dynamics blau auf dem Übergang zu orange und Spiral Dynamics orange greifen gerne zu. In dieser Zielgruppe ist das Schuldenken noch sehr stark verankert und damit auch das Denken, dass sich Verhalten über pure Einsicht verändert und Wissen geschult werden kann. Was noch nicht angekommen ist, dass wir alle, was das eigene Verhalten betrifft einen blinden Fleck haben. Doch genau der ist für den Lernprozess im Coaching und in Coachingausbildungen wichtig. Was ebenfalls noch nicht angekommen ist, ist wie wichtig Gefühle bei dem Veränderungsprozess sind und dass ohne sie nichts verändert wird.
    Was man im Webinar nicht lernt, ist alles was mit F beginnt: Führen, fühlen, Feedback geben und Feedback nehmen.
    Ein Webinar stellt dich nicht in Frage. Bei einem Webinar fehlt zu diesem Themen der Hauptteil des Prozesses. Schwimmen kannst du nicht in einem Webinar lernen.
    Und, ein weiterer Nachteil begegnet mir immer wieder in der Praxis. Die Teilnehmer sind mit Wissen bereits überladen – unreflektiert – und lassen sich daher nicht mehr so ganz auf die Prozesse ein, sondern bleiben im Kopf hängen. Durch die unreflektierte Übernahme entstehen auch viele Diskussionen, falsch verstandenes wieder zu beseitigen.
    Wenn dir also wirklich an einer Entwicklung gelegen ist, dann suche dir Praxis und keine Webinare.
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